mit
Prof. Dr. Klaus Dörre, Universität Jena, Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie
Dr. Halliki Kreinin, Universität Münster, ökologische Ökonomie, nachhaltige Arbeit
Dr. David Mum, Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA-djp), Leiter der Grundlagenabteilung
Moderation: Martin Auer, Scientists for Future
Aufgezeichnet am 23. 6. 2022
In der Klima- und Nachhaltigkeitsbewegung ist oft die Rede von einer „öko-sozialen Transformation“, die notwendig ist, um das Leben auf unserem Planeten nachhaltig zu gestalten. Doch haben wir die soziale Komponente dabei ausreichend im Blick? Wie hängen die ökologischen und die sozialen Krisen zusammen? Warum können sie nur gemeinsam gelöst werden? Das, was den Planeten verändert hat, was ihn zu dem gemacht hat, was er heute ist – im Guten wie im Schlechten – ist menschliche Arbeit, menschliche Produktion. Darum ist die Zukunft des Planeten von der Zukunft der Arbeit gar nicht zu trennen. Und ebenso wenig davon zu trennen ist die Zukunft der Menschen, die die Arbeit machen. Bevor wir von nachhaltigem Konsum sprechen, müssen wir von nachhaltiger Produktion sprechen. Und darüber, wer eigentlich entscheiden soll, was, wie, und wozu produziert wird.
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Für diejenigen, die lieber lesen wollen, haben wir die eineinhalbstündige Diskussion hier knapp – und ohne Anspruch auf Vollständigkeit – zusammengefasst.
Auf die Frage, welche Probleme für die Arbeitnehmer:innen jetzt im Vordergrund stehen, nennt David Mum in erster Linie die Teuerung. Der Anteil der Haushalte in Österreich, die mit ihrem Einkommen ihre Ausgaben nicht decken können, ist von 25 Prozent auf 35 Prozent gestiegen. Die Pandemie hat unterschiedliche Bevölkerungsgruppen unterschiedlich getroffen und viele Menschen haben erfahren, dass die Ungleichheit steigt.
Klaus Dörre betont, dass die 17 Nachhaltigkeitsziele der UNO soziale und ökologische Nachhaltigkeit gleich gewichten und dass das eine ohne das andere nicht zu haben ist. Sie sollten die normative Grundlage für die Gesellschaft sein. Es ist für die Ökologiebewegung wichtig, die sozialen Rechte von Beschäftigten zu verteidigen, auch wenn man die Produkte, die sie herstellen nicht gutheißt. Das ist eine Grundvoraussetzung dafür, Glaubwürdigkeit zu erlangen. Von 1990 bis 2015 sind die Emissionen der EU-Staaten um 25 Prozent gesunken. Der Luxuskonsum der einen ist nur möglich durch die – häufig erzwungenen – Einsparungen der unteren Hälfte der Einkommensbezieher, deren Realeinkommen seit langem sinken. Immer mehr Menschen müssen zum Beispiel ihre notwendigsten Lebensmittel bei den „Tafeln“ holen. Dieser Zusammenhang zwischen der ökologischen und der sozialen Konfliktachse wird bisher auch von der Forschung zu wenig beachtet.
Halliki Kreinin hebt hervor, dass wir ein viel größeres Narrativ über das Gute Leben für Alle brauchen. Das Problem, dass wir unseren Planeten immer mehr zerstören müssen, um das derzeitige System am Laufen zu halten, wird nur schlimmer werden, wenn wir immer mehr Wachstum brauchen, um das derzeitige System am Laufen zu halten, zum Beispiel Vollzeitarbeit zu haben, und wenn die Befriedigung der materiellen Bedürfnisse der Leute an diese Beschäftigung geknüpft ist. Es braucht eine vollständige Umgestaltung des Wohlfahrtssystems. Als Ausgangspunkt schlägt sie vor, die Arbeitszeit zu verkürzen. Auch Kreinin ist der Meinung, dass das Thema Arbeit bisher in der Nachhaltigkeitsforschung zu kurz gekommen ist. Wir können nicht über Konsum reden, ohne über Produktion zu reden. Konsum kommt erst nach der Produktion. Deswegen ist Arbeit eine Schlüsselfrage.
Zur Frage der just transition, des gerechten Übergangs, sagt David Mum, dass die Transformation ein gesamtgesellschaftliches Projekt sein muss. Man kann sie nicht dem Markt und den Einzelnen überlassen. Sie muss so gestaltet werden, dass es soziale Sicherheit gibt. Wir müssen die Energiebasis und die Mobilität umorganisieren, die Gebäude sanieren u nd so weiter. Das wird große Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben. Es braucht also kollektive Instrumente, um soziale Absicherung zu garantieren, und eine positive Vision, sonst wird man nur Widerstände erzeugen. Das Bild des Verzichts gilt vor allem für den Luxuskonsum der Oberschicht.
Eine sozial-ökologische Transformation wird, sagt Klaus Dörre, wird nicht funktionieren ohne eine radikale Umverteilung von oben nach unten, aber auch von den Zentren an die jeweiligen Peripherien, und das nicht nur im europäischen sondern im globalen Maßstab. Vor allem stellt sich die Frage: Wer entscheidet, was, wie, und wozu produziert wird? Derzeit sind das kleine Managerkasten in großen Unternehmen. Es geht darum, Entscheidungsmacht so umzuverteilen, dass der Übergang zu einer Wirtschaft gelingt, die auf der Produktion langlebiger Güter und nachhaltiger Dienstleistungen beruht. Wenn wir hochwertige Qualitätsgüter produzieren, muss niemand verzichten, alle können weniger, dafür höherwertige Produkte konsumieren. Das geht aber nur, wenn die Menschen sich die Qualitätsgüter auch leisten können. Daher brauchen wir mehr Einkommens- und Vermögensegalität. Das geht nicht ohne deutliches Anheben der Einkommen der unteren Bevölkerungsgruppen und eine Besteuerung der großen Einkommen.
Die privatkapitalistischen Unternehmen, so Dörre, laden einen großen Teil ihrer Kosten auf die Gesellschaft ab. Wenn man ihnen alle diese Externalitäten, von der zur Verfügung gestellten Infrastruktur bis zu den Umweltschäden in Rechnung stellen würde, hätten sie große Schwierigkeiten, überhaupt noch profitabel zu wirtschaften. In welche Produktionen und Dienstleistungen investiert wird, darüber muss die Gesellschaft befinden und nicht kleine Managerkasten.
David Mum erklärt, wir wollen in neue Infrastruktur investieren, und die soll auch im öffentlichen Eigentum und unter öffentlicher Kontrolle stehen und öffentlich finanziert werden. Dafür soll es auch geldpolitische Instrumente geben.
Halliki Kreinin findet es schade, dass wir immer erklären müssen, ob und wie es finanziell sinnvoll ist, dass die Gesellschaft die Krisen überlebt. Wir können die Produktion anders organisieren, dabei geht es aber darum, wer die Macht in der Gesellschaft hat. E ist schwierig nicht in kapitalistischen Schubladen zu denken, doch wir müssen weiter denken.
Klaus Dörre beantwortet die Frage, ob Kapitalismus ohne Wachstum möglich ist, mit einem klaren Nein. Es gibt Phasen der Stagnation, die aber immer mit der Zunahme von Arbeitslosigkeit, Prekarität und so weiter verbunden sind. Wenn das Wirtschaftswachstum eintritt, gemessen an den Kriterien des GDP, bedeutet das unter den derzeitigen Bedingungen hohen Emissionsausstoß, hohen Ressourcenverbrauch, hohen Energieverbrauch, und fortschreitende Zerstörung der menschlichen Lebensgrundlagen. Was geschieht, wenn das Wachstum nicht eintritt, haben wir zum Beispiel im ersten Halbjahr der Pandemie gesehen. Es war ein dramatischer Einbruch der Wirtschaft wegen der Shutdowns und Lockdowns und der Folgemaßnahmen. Dieser Einbruch der Wirtschaft war verbunden mit dem größten Rückgang der klimaschädlichen Emissionen in den letzten 30 Jahren, nämlich um fast 6 Prozent. Kaum zieht die Weltwirtschaft wieder an, sind wir gleich wieder auf dem alten Niveau. Das nennt Dörre degrowth by desaster: Die ökologisch erwünschten Resultate treten ein um den Preis der sozialen Katastrophe. Daraus folgt, dass es nur zwei Optionen gibt: Entweder man entkoppelt das Wirtschaftswachstum von seinen sozial und ökologisch zerstörerischen Folgen, oder wir brauchen Gesellschaften, die sich vom Zwang zum dauerhaften Wirtschaftswachstum befreien. Dörre plädiert für Variante zwei, weil es nicht so aussieht, dass Variante eins realisierbar ist. Doch betont er, dass es im Kapitalismus Handlungsspielräume gibt, die unbedingt genutzt werden sollen.
Halliki Kreinin findet die Frage, ob wir ein neues Sozial- und Wirtschaftssystem noch Kapitalismus nennen können, zwar spannend, doch sie fragt sich, wie wichtig es ist, wie wir die Formen des Wirtschaftens benennen. Wenn man sich kapitalismuskritisch äußert, führt es oft dazu, dass die Leute nicht zuhören wollen.
David Mum stellt fest, dass zwar jedes kapitalistische Unternehmen auf Wachstum aus ist, aber dass nie alle Pläne der Akteure sich gleichzeitig ausgehen. Wachstum hängt mit gesellschaftlicher Stabilität zusammen: Trotz permanenten Produktivitätszuwächsen ist die Beschäftigung nicht gesunken, sondern gestiegen. Wachstum hat auch ermöglicht, dass sowohl die Profite als auch die Löhne nominell steigen. Wachstum hat in der frühen Phase des Kapitalismus eine Steigerung der Lebensqualität ermöglicht. Ab einem gewissen Wohlstandsniveau ist aber nicht Wachstum, sondern die Verteilung entscheidend. Letztendlich geht es darum, dass wir zunehmend wichtige Sektoren dem Renditedruck entziehen, denn überall, wo es einen Renditedruck gibt, gibt es den Wachstumszwang. Das heißt zum Beispiel, dass es nicht gut ist, wenn Finanzakteure etwa die Pflege organisieren oder den Gesundheitsbereich. Und im Pflege- und Gesundheitsbereich brauchen wir wirklich Wachstum. Wenn man eine resiliente Gesellschaft will, dann braucht man Institutionen und Unternehmen, die dem Interesse der Gesellschaft dienen und unter gesellschaftlicher Kontrolle stehen.
Halliki Kreinin verweist darauf, dass um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert die Ziele und Visionen der Arbeiter:innenbewegung viel breiter waren als heute: Freiheit im Sinn von Autonomie bei der Arbeit, Gemeinschaft, mehr Zeit mit der Familie, Begrenzung der Rolle, die die Arbeit im Leben einnimmt. Das sind Bereiche, die die Grundlage für eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften und Umweltbewegung sein können.
Klaus Dörre ist es wichtig, das Poltische nicht auszuklammern. Man muss die Ursachen für die ökologische Zerstörung klar benennen, und eine entscheidende Ursache ist, dass Kapitalismus darauf beruht, Geld in Ware zu verwandeln, mit dem Ziel, mehr Geld zu erzielen, und das vermehrte Geld zu reinvestieren, um mit der gleichen Formel noch mehr Geld zu erzielen. Da ist der Expansions- und Wachstumszwang strukturell gegeben. Wenn man Wachstumsindikatoren wie das GDP durch Entwicklungsindikatoren ersetzt, dann werden Effekte wie der folgende sichtbar: 2005 haben Experten der chinesischen Akademie der Wissenschaft hochgerechnet, wie das Verhältnis von ökologischer Zerstörung und Wirtschaftswachstum ist. Das Ergebnis war, dass die Wachstumsrate vom Ausmaß der ökologischen Zertörung vollständig kompensiert wurde. Das muss sichtbar gemacht werden. Man sollte aber, wie Naomi Klein geschrieben hat, keine abstrakte Debatte über Reform oder Revolution führen, sondern den Kapitalismus Bewährungsproben aussetzen. Zum Beispiel Sicherheitsgarantien fordern für die Menschen, die etwa in der Automobil- und Zulieferindustrie ihre Jobs verlieren werden. Auf die Frage nach dem Konzept der Gemeinwohlökonomie meint er, dieses Konzept will den Kapitalismus auf Gemeinwohl umpolen, und er glaubt nicht, dass das möglich ist. Doch man sollte es ausprobieren, es könnte uns auf jeden Fall entscheidende Schritte voranbringen. In Deutschland hat die Gewerkschaft ver.di es positiv aufgenommen.
Zu der Frage, wie denn Arbeitsverhältnisse in Zukunft aussehen würden und wie viel wir zum Beispiel konkret im Jahr 2050 arbeiten sollten, sagt Halliki Kreinin, dass wir, wenn wir die Pariser Klimaziele ernst nehmen, im Jahr 2050 in den OECD-Ländern nur fünf Stunden Arbeit in der jetzigen Form leisten sollten. Doch werden wir andererseits beispielsweise mehr Arbeit für Klimaanpassungsmaßnahmen brauchen.
David Mum führt aus, warum sich die österreichischen Gewerkschaften für eine Vier-Tage-Woche einsetzen. Es geht darum, Produktivitätszuwächse nicht in zusätzlichen Konsum, sondern in zusätzlichen Zeitwohlstand umzusetzen.
Zeitwohlstand ist auch für Halliki Kreinin ein wichtiges Ziel. Statt einem bedingungslosen Grundeinkommen, das bei Teilen der Bevölkerung zu noch mehr Überkonsum führen würde, tritt sie für eine universelle Grundversorgung ein, also Versorgung mit Mobilität, Energie, Wohnraum und so weiter, das heißt mit materieller Sicherheit, die von der Gesellschaft nicht in Form von Geld, sondern in Form von notwendigen Gütern zur Verfügung gestellt wird.
David Mum ist optimistisch, was soziale Bewegungen angeht. Wir können gemeinsam etwas erreichen: in der besseren sozialen Absicherung, bei der Arbeitszeitverkürzung, bei der Regelung der Arbeitsbedingungen, aber auch bei der Frage, dass es Vermögenssteuern und Millionärssteuern geben muss und Überreichtum gesellschaftlich als Problem erkannt werden muss. Und da gibt es eben die Verbindung zur Klimabewegung.
Klaus Dörre plädiert für Klima- und Nachhaltigkeitsräte, in denen auch Initiativen aus der Zivilgesellschaft vertreten sind, die normalerweise über Produktionsentscheidungen nicht mitentscheiden. Die sollten zum Beispiel kontrollieren, wofür das Geld, das im Green Deal der EU verausgabt wird, eigentlich eingesetzt wird. Da muss die demokratische Zivilgesellschaft, zu der auch die Gewerkschaften gehören, in Entscheidungen eingebunden werden.
Im Anschluss an Halliki Kreinin betont Klaus Dörre, dass wir über den Arbeitsbegriff nachdenken müssen. Arbeit ist mehr als nur Erwerbsarbeit. Neben der Erwerbsarbeit gibt es die zweckfreien Tätigkeiten, die unbezahlte Sorgearbeit, aber auch die Arbeit an der Demokratie und der Gesellschaft, plus die Arbeiten, die nötig sind, um alle diese Bereiche zu koordinieren. Wenn wir das bedenken, gewinnen wir eine klarere Vorstellung von dem, was wir eigentlich tun müssen. Die ökologische Krise wird nicht dazu führen, dass wir weniger arbeiten. Wir können weniger Erwerbsarbeit leisten, aber die Arbeit an der Demokratie und an der Gesellschaft wird viel intensiver werden, genauso wie die Sorgearbeit. Darum plädiert er für eine „ bedingungslose Grundzeit“ für alle, das heißt, die Möglichkeit, für eine bestimmte Zeit statt der Erwerbsarbeit sich bezahlt anderen Dingen zu widmen, der Weiterbildung, der Sorge für andere, der Arbeit an Demokratie und Gesellschaft. Denn freie Zeit, verfügbare Zeit ist der Reichtum selbst.
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